Deborah Polaski
Mit der furchtlos rächenden Kriegerin Brünnhilde in Harry Kupfers denkwürdigem 1988er „Ring" in Bayreuth hat sich Deborah Polaski als eine der großen dramatischen Sopranistinnen der Welt offenbart. Polaski war nicht gänzlich unbekannt – nach dem Ende ihres Studiums in den USA war sie bereits an einigen Häusern aufgetreten, bevor sie nach Mailand, München, Berlin geholt wurde. Mit dem Ruf an den Grünen Hügel folgte der internationale Durchbruch und Bayreuth schloss sie ins Herz: Öfter als jede andere Sopranistin nach dem ersten Weltkrieg sang sie dort die Rolle der Brünnhilde. Von da an trat sie in allen bedeutenden Häusern der Welt, unter anderem in Paris, London, Berlin, New York, Chicago, Sydney, Barcelona, Leipzig, Köln, Dresden, Wien und Salzburg auf.
Obwohl Brünnhilde eine Zeit lang ihre Visitenkarte war, fanden sich viele andere große Wagnerrollen in ihrem Repertoire: etwa die junge, verwirrte Senta, eine Rolle, mit der sie bereits 1976 ihr Debüt in Deutschland gab; die kapriziöse Venus; die intrigante Zauberin Ortrud, die nach dem Niedergang Lohengrins trachtet; nicht zu vergessen die inzestuöse Sieglinde, die den Schutz Brünnhildes genießt; die wilde Kundry. Diese Rollen zählen mitunter zu den komplexesten und schwierigsten, die jemals geschrieben wurden. Polaski verlieh jeder dieser Figuren Authentizität und einen je ganz eigenen Charakter.
Deborah Polaski war auch als eine der großen Isoldes ihrer Zeit renommiert – die stolze Königstochter, die mit Pflicht, dann Liebe, schließlich Verrat und Verlust kämpft. Erstmals war sie 1984 in Freiburg in dieser Rolle zu erleben, später in Stuttgart und Amsterdam. In der „Tristan und Isolde"-Produktion der Dresdner Semperoper 1995 hat sie sich diese Rolle zu eigen gemacht. Sie sang die Isolde in Salzburg (Abbado), Florenz (Mehta), Tokyo (Abbado), Berlin (Barenboim), Barcelona (de Billy), Wien (Welser-Möst, Schneider, Segerstam) und Hamburg (Young). Auszüge der Oper wurden bei Oehms aufgenommen und auch auf DVD verewigt.
Als Elektra hat sie höchste Maßstäbe gesetzt – zäh und wahnsinnig vor Wut und Trauer, gleichzeitig verletzlich, zärtlich, liebeserfüllt und seltsam erhaben, wenn sie ihre Rache vollendet. Seit ihrem Debüt in dieser vielschichtigen Rolle im Jahre 1984 interpretierte Polaski Elektra mit einigen der bedeutendsten Dirigenten und Regisseure. Sie hat die Oper sowohl mit Barenboim als auch mit Bychkov aufgenommen. Aufführungen in Berlin, Paris, Sydney, München, Chicago, Dresden, Mailand, Florenz, Leipzig, Köln, Dresden, Wien, Salzburg, London, Zürich und New York haben Polaskis Ruf als Elektra gefestigt.
Ihr Repertoire umfasste weitere Rollen wie die Marie in „Wozzeck“, die hartgesottene Kostelnicka in „Jenůfa“, Cassandre und Didon in „Les Troyens“ und Leonore in „Fidelio“. In jede dieser Rollen brachte Polaski Integrität und dramatische Substanz. Die Liste wuchs ständig, zuletzt mit Ariane in Paul Dukas’ „Ariane et Barbe-Bleue“ 2006, die Frau in Schönbergs „Erwartung“ 2008, Madame de Croissy in Poulencs „Dialogues des Carmélites“ 2011. Ende 2010 gastierte Polaski am Teatro Real Madrid neuerlich als Kostelnicka, die Rolle, die sie bereits 2009 in einer Produktion der Münchner Staatsoper gesungen hatte. Im Frühjahr 2012 war sie die Gräfin Geschwitz in „Lulu“ an der Staatsoper Berlin unter Daniel Barenboim in einer Inszenierung von Andrea Breth. Im selben Jahr stand sie als La Madre in Luigi Dallapiccolas „Il Prigioniero“ und als La zia principessa in Giacomo Puccinis „Suor Angelica“ auf der Bühne des Teatro Real Madrid. 2013 entdeckte sie „Die Frau ohne Schatten“ aus einer anderen Perspektive: nach vielen Jahren als Färberin sang sie die Amme in einer Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper. Deborah Polaski schlüpfte ganz in diese oft gebrochenen Figuren und entdeckte jede noch so kleine Bedeutung im Text, den sie stets im Einklang zur Musik betrachtete, interpretierte und herausarbeitete. Durch ihre tiefe Vertrautheit mit der Musik entfaltete sie ihren Gesang souverän und ruhig bis hin zum feinen Pianissimo.
Deborah Polaski vernachlässigte trotz ihrer Opernkarriere nicht das Konzert. So gab es Auftritte mit Mehta, Levine, Bychkov, de Billy, Luisi, Prêtre, Maazel, Boulez, Abbado.
Ihre Zusammenarbeit mit Daniel Barenboim umfasste Konzerte mit der Staatskapelle Berlin, mit dem Chicago Symphony Orchestra sowie mit dem Orchestre de Paris. Im November 2011 waren sie gemeinsam mit den Sechs Liedern op.8 von Schönberg an der Scala zu hören. Mit Barenboim als Pianist hat sie ebenfalls konzertiert. Häufiger noch arbeitete sie mit dem Pianisten Charles Spencer zusammen, mit dem sie in vielen bekannten Konzertsälen zu hören und sehen war.
Polaski immer wieder die Leitung von Meisterkursen an renommierten Institutionen, um ihr Wissen und ihre Erfahrung an junge Sängerinnen und Sänger weiterzugeben. Seit dem Ende ihrer aktiven Bühnenkarriere 2015 hat sie ihre Aktivitäten als Kursleiterin intensiviert und leitete Meisterklassen etwa am Internationalen Opernstudio der Staatsoper Berlin, an der George London Foundation und Manhattan School of Music New York, an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar, beim Internationalen Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf, an der University of Cincinnati College-Conservatory of Music, beim Jungen Ensemble der Semperoper Dresden, an der Komischen Oper Berlin, beim Internationalen Opernstudio der Oper Köln u.a.
Darüber hinaus ist Deborah Polaski ein gefragtes Jurymitglied bei so bedeutenden Gesangswettbewerben wie dem Bundeswettbewerb Gesang Berlin, der Mirjam Helin International Singing Competition Helsinki, dem Elizabeth Connell Prize und dem Bel Canto Award der Joan Sutherland & Richard Bonynge Foundation.
In Anerkennung ihres Beitrags zum Kulturleben in Wien verlieh ihr die Österreichische Regierung 2003 den Ehrentitel »Österreichischer Kammersänger«. Im Juni 2010 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der University of Cincinnati. Seit 2015 ist sie Ehrenmitglied der Staatsoper Unter den Linden.